Gesundheits-Nudging

Gesundheits-Nudging

Gesundheits-Nudging

Die Auslösereize in der Lebenswelt von Menschen zielgerichtet zu verändern, wird Nudging genannt. Übersetzt heißt „to nudge somebody“, „jemanden schubsen“. Das Konzept des Nudgings ist politisch deshalb so reizend, weil es unbewusst abläuft. Durch Gesundheits-Nudging soll das Umfeld von Menschen strategisch so verändert werden, dass die visuelle Aufmerksamkeit auf, als gesundheitsförderlich bewertete Auslösereize gelenkt wird. So werden beim Gesundheits-Nudging in Cafeterias gesundheitsförderliche Lebensmittel, wie Wasser, Gemüse, Vollkornprodukte und Obst, so platziert, dass sie den BesucherInnen direkt ins Auge springen. Gesüßte Getränke, Fast Food und Süßigkeiten werden hingegen außerhalb des Sichtfelds aufbewahrt. Sie können zwar weiterhin gewählt werden, müssen jedoch bewusst ausgesucht werden.

Nudging

Gesundheits-Nudging klingt aus Sicht von Krankenversicherungen und des Staates verlockend weil man hoffen kann, Folgekosten im Gesundheitssektor zu reduzieren. Besonders relevant wird das Nudging auch aus Nachhaltigkeitssicht. Aber gleichzeitig muss man sich fragen, wer denn Interesse daran hätte, sich ständig schubsen zu lassen?
Dem Nudging wird politisch entgegengehalten, dass es bevormundend sei. Ein Argument, das sich nicht von der Hand weisen lässt. Es sei denn, dass alle Menschen in einer Lebenswelt an der Gestaltung ihrer Umwelt gleichberechtigt beteiligt wären. Das wäre dann gelebte Demokratie.

Gesundheits-Nudging von oben herab

Nudging von oben herab ist bevormundend und manipulativ. Allerdings ist es ebenfalls als Nudging zu bezeichnen, wenn am Arbeitsplatz oder in der Schule lediglich ein Snackautomat mit Süßigkeiten steht, anstatt dass kostenloses Wasser, Obst und Gemüse angeboten wird. Auch die Süßigkeiten, Zigaretten, Paysafe-Karten und Spirituosen an der Supermarkttheke gehören in die Kategorien des Nudgings. Insbesondere im letzten Fall ist die Manipulation allerdings bereits so standardisiert, dass wir es bereits als normale Umweltgestaltung ansehen.

Nudging in Frage stellen

Wenn wir Gesundheits- Nudging ablehnen, müssen wir uns auch die Frage stellen, wo die Praktiken des Nudgings bereits angewendet werden. Das ist eine komplexe Herausforderung, denn Nudging findet ständig und überall statt. Allerdings auch oftmals zu unseren gesundheitlichen oder finanziellen Ungunsten. Im Kapitalismus wird uns ständig gepredigt, wie großartig es wäre dieses oder jenes zu kaufen und zu besitzen.

„Werbung und Profitinteressen gestalten unsere Umwelt mit. Dieser Situation müssen wir uns bewusst werden.“

Nudging beim Essen

Beim Thema Essen ist das Nudging besonders kritisch zu betrachten. Da unsere evolutionäre Ausstattung uns eher in die Richtung drängt, energie-, fett- und zuckerreiche Speisen zu bevorzugen, ist es besonders schwierig diesen situativ zu widerstehen. Diejenigen Menschen mit stark ausgeprägter Selbstdisziplin sind hier bevorzugt. Menschen mit einem stressigen Alltag und wenig Zeit zur freien Einteilung hingegen sind benachteiligt. Denn insbesondere wenn wir hungrig einkaufen gehen, wirken unbewusste Auslösereize am stärksten auf unseren Hypothalamus. Dieser lässt uns dann zu Lebensmitteln greifen, die wir andernfalls vermutlich gemieden hätten.

Gesundheitsnudging und Sucht

Werbung für Genussmitteln mit Suchtpotenzial sind besonders zu beachten. Natürlich spielen beim Thema Sucht weitaus mehr Faktoren eine Rolle, als die Gestaltung unseres Umfelds. Aber wir würden ja einem Freund, von dem wir wissen, dass er ein Alkoholproblem hat, nicht ständig Wodka, Korn u.ä. Spirituosen anbieten. Die Schwächen und Traumata von Menschen zu benutzen, um ihnen schädliche Substanzen zu verkaufen, ist in meinen Augen unmoralisch.

„Drogendealer werden genau für so etwas verurteilt. Aber wo liegt der Unterschied zur „Quengelware im Supermarkt?“

Entscheidungsfindung

Unsere visuelle Wahrnehmung und somit auch das Nudging spielen eine große Rolle in unserer alltäglichen Entscheidungsfindung. Und daher auch für unser Leben. Oftmals ist unsere Umwelt entscheidender für unser Verhalten, als unser Willen. Der Tipp nicht hungrig oder gestresst einkaufen zu gehen ist gut und sinnvoll, aber für manche Menschen einfach schwer umsetzbar. Die Preisfrage ist somit, wie Menschen mit Suchterkrankungen und stressigem Leben entlastet werden können.

Herausforderung beim Gesundheits-Nudging

Die Herausforderung des Gesundheits-Nudgings ist in meinen Augen, die humanistischen Ansätze von Thaler und Sunstein mit den liberalen Ideen der westlichen Demokratien zu verbinden. Denn, die Alternative, dass der Staat vorgibt, was die Unternehmen und Supermärkte dürfen, ist ebenfalls kritisch zu betrachten. Ein freier Markt ist ja nicht per se schlecht, sondern in vielerlei Hinsicht als äußerst positive Entwicklung zu betrachten.

„Der freie Markt ist allemal besser als faschistische oder kommunistische Regime.“

Wer will denn nicht gesund sein?

Richard Thaler und sein Co-Autor Cas Sunstein haben in ihrem Buch „Nudge“ über sogenannte Wahl-Architekten berichtet. Diese Menschen haben den Job, Lebensmittel in Cafeterias geschickt anzuordnen. Dabei ist die Zielsetzung, Menschen gesundheitsförderlichere Entscheidungen treffen zu lassen, ohne sie in ihrer Wahlmöglichkeit eingeschränkt zu werden. Aber ist es nicht bereits bevormundend, wenn man davon ausgeht, dass Menschen lieber gesund als ungesund sein möchten?

„Machen wir Gesundheit zum neuen kategorischen Imperativ?“

Gesundheits-Nudging heißt Partizipation

Echte Partizipation bedeutet, unsere Aufmerksamkeit auf die Lebenswelten zu lenken. Nur so können wir die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für ein selbstbestimmtes, zufriedenes Leben für alle ermöglichen. Wissen zu vermitteln ist dabei lediglich die halbe Miete. Ebenso wichtig wird es sein, die wirtschaftlichen Möglichkeiten so zu verteilen, dass auch die Ärmsten der Bevölkerung genug zur Verfügung haben. Um sich zu emanzipieren und ihre Lebenswelt aktiv mit gestalten zu können.

Gesundheit entsteht im gelebten Alltag

Gesundheit scheint ein spannendes Ziel zu sein und es ist nur allzu leicht, es Menschen vorzuschreiben auf ihre Gesundheit zu achten. Aber gesundheitsförderliches Verhalten sollte eine private Angelegenheit bleiben. Niemand sollte dazu gezwungen oder überredet werden. Stell dir vor, wir würden wie bei Matrix an einer Maschine hängen. Diese würde uns mit allen notwendigen Nährstoffen versorgen und in regelmäßigen Abständen unsere Atemfrequenz und unser kardiovaskuläres System anstrengen. Dadurch würden wir 150 Jahre alt werden und wären nie wieder erkältet. Außerdem würden wir durch Drogen alle das dauerhafte Gefühl haben, auf Wolke 7 zu schweben.

„Diese Vorstellung ist keine gesundheitsförderliche Demokratie sondern ein absoluter Albtraum.“

Unvernunft macht Spaß

Wichtig ist mir persönlich, dass wir auch weiterhin die Wahl haben, unvernünftige Entscheidungen zu treffen. Zum Gefühl der Freiheit und zum Genuss gehört es dazu, über die Strenge zu schlagen. Unvernunft kann viel Spaß machen. Allerdings ist es in meinen Augen gerade deshalb wichtig, die VerbraucherInnen zu informieren und von den Nudging-Praktiken im Kapitalismus zu emanzipieren. Genusstraining und Achtsamkeitsübungen sind somit vielleicht das beste Gesundheit-Nudging.

Gesellschaftliche Ungleichheit

Genusstraining und Achtsamkeitsübungen klingen super. Aber ein alleinerziehendes Elternteil an der Armutsgrenze hat es deutlich schwerer als eine Zahnarztgattin, die im wohltemperierten Sportstudio Einzelstunden bekommt. Somit kommt dem Staat vielleicht weniger die Aufgabe zu, Werbung zu verbieten, sondern die gesellschaftliche Ungleichheit zu bekämpfen. Obwohl die lebensmittelbezogene Werbung für Kinder durchaus kritisch zu betrachten ist.

„Qualifizierte Ernährungsberatung finanziell zu fördern, wäre vielleicht nicht die schlechteste Idee.“

Gesundheitsnudging – Was ist deine Meinung?

Sollen wir davon ausgehen, dass alle Menschen lieber länger, gesünder und wohlhabender leben würden, als kürzer, ungesünder und ärmer? Zumindest wenn sie vernünftig darüber nachdächten. Oder tendierst Du eher dazu, dass wir Menschen unterschiedliche Ziele haben und diese Unterschiedlichkeit ein Grundpfeiler der liberalen Idee ist? Sollen Supermärkte und Werbetreibende gesetzlich eingeschränkt werden oder bringen solche staatlichen Eingriffe mehr Unheil als Gutes?